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Mit Lettow-Vorbeck im Busch

Dieses Thema im Forum ""Ich lese gerade..."" wurde erstellt von Andreas G., Jan. 5, 2020.

  1. Andreas G.

    Andreas G. Sehr aktives Mitglied AbzeichenUser

    das Buch, welches ich gerade durcharbeite ist im Jahre 1937 erschienen,
    auch hier werde ich nach und nach die Geschichten posten. Habt etwas Geduld,
    es bracht seine Zeit. Viel Spass beim Lesen. Auf Wunsch kann ich die Seiten auch als PDF versenden...

    LG Andreas
     
    TANZANIA und leutwein gefällt das.
  2. Andreas G.

    Andreas G. Sehr aktives Mitglied AbzeichenUser

    • Teil 1


      Deutsch-Ostafrika lebt!


      Am Lagerfeuer


      Über den Baumwipfeln der Puguberge, südlich von Daressalam, war der Nachthimmel weithin vom Wiederschein des Lagerfeuers Schutztruppenkompanie gerötet. Vom Blitzschlag gestürzte und bereits dürr gewordene Baumstämme bildeten die Nahrung für das Feuer. Die Bruchstellen mäßig starker Stämme waren ganz einfach zusammengeschoben und entzündet worden. Die Stämme selber dienten den Weißen am Feuer als Sitzgelegenheit. Von Zeit zu Zeit erhob sich einer der Schutztruppler, lupfte den Stamm, auf dem er eben gesessen, und schob ihn vorwärts, dem Feuer neue Nahrung zu geben. Dann sprühte rote Glut aus der aufgewühlten Asche, und die blassen Gesichter der Männer schienen wie durch ein Feuerwerk belebt.
      Die durchweg jungen Gesichter waren in der Tat mit jener Tropenblässe behaftet, welche die Bekanntschaft mit dem Malariafieber verriet, die stets eine gewisse Blutarmut hinterläßt.
      Die schwarzen Soldaten der Kompanie waren bereits zum Schlafen befohlen. Aus winzigen, flüchtig in den Wald gestellten Grashütten raunte und kicherte es vom letzten geschwätzigen Plausch einiger Unermüdlicher. In das leise Rauschen des Blätterwaldes mischte sich das ruhige Atmen der Schläfer. Dunkelfarbige Wachposten, nach allen Seiten vorgeschoben, sicherten das Lager.
      „Ich sage dir“, unterbrach der Mann, der auf seinem Stamm dem Feuer am machten saß, im gemütlichen Tonfall des Bayern das, herrschende Schweigen, „ und du glaubst es nicht, Röthemeier, der Leopard, der mir so plötzlich übern Weg lief, war von der Schwanzspitze bis zur Schnauze gut zwei Meter lang. Ich schoß, das Vieh blieb im Feuer, und ich warf es über die Schulter und tippelte zum Lager zurück.“ Der mit Röthemeier Angesprochene öffnete heftig den Mund, vielleicht, um nun seinerseits aufzuschneiden, aber aus dem Dunkel des Waldes raschelten Schritte heran. Ein Neger trat in den Lichtkreis. Er trug Jacke und lange Hose von braunem Khakistoff, genau wie die weißen am Feuer, deren Beine ebenfalls von braunen Wickelgamaschen umschnürt waren; nur waren die Schwarzen barfuß. Er hatte umgeschnallt, gefüllte Patronentasche hing schwer am Koppel. Das Gewehr in der dunklen Faust war geladen und gesichert. Leicht zu erraten, daß der Mann zur Wache gehörte und einer jener Askaris war, deren die Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika zu Beginn des Jahres 1914 rund zweitausend zählte.
      Das schwarze Kraushaar des Askari wurde vom Tarbusch bedeckt, einer schirmlosen Mütze aus Khakistoff mit Nackenschutz gegen die Sonnenstrahlen. Vom Trabusch blinkte das Hoheitsabzeichen, der deutsche Reichsadler. Der Mann wendete sein Gesicht dem weißen zu, der als einziger vier Silberwinkel am linken Ärmel trug, das Abzeichen des Feldwebels der Kompanie. Die kurze Unterhaltung, die sich nun zwischen dem Feldwebel Giese und dem Mann von der Wache entspann, wurde in der landesüblichen Kisuahelisprache geführt.
      „Herr Feldwebel“, sagte der Soldat mit klingender Stimme, „Ombascha Mkusu läßt dir melden, daß ein weißer bei der wache eingetroffen ist. Er kommt zu Fuß von Daressalam. Kein Soldat, Herr. Was sollen wir tun?“
      „Ihn herbringen!“ antwortete der Feldwebel ruhig und ohne den Mann von der wache weiter anzublicken.
      „Jawohl, Herr!“ Der Askari wendete auf den blanken Fußsohlen und ging durch das dürre raschelnde Gras zur Wache zurück. Als er verschwunden war, nahm Röthemeier, der Holsteiner, sofort die Gelegenheit war, das unterbrochene Gespräch fortzusetzen. „Mir ist einmal ein Löwe in die Quere gekommen“, sagte er und stieß bei den „s“ mit der Zunge an. „Du glaubst es nicht, Kerscher, der Löwe war mindestens zwei mal so lang wie dein Leopard als ich ihn schoß. Ich hatte es eilig und war allein. Liegen lassen wollte ich das Biest auch nicht. Ich nahm ihn über die Schulter und…“
      Der Unteroffizier neben dem Holsteiner, mit einem Silberwinkel am Arm, rückte ärgerlich seinen Stamm in die Glut. Indes hörte man das Geräusch beschuhter Füße zwischen den dunklen Stämmen näherkommen. Da sagte der Unteroffizier. „Merkwürdig! Jetzt bei Nacht! Und zu Fußzwanzig Kilometer durch den Busch. Das ist bestimmt kein Daressalamer. Wie war das doch, Giese? Little stomach for fighting! Wenig Luft zum Kämpfen! So schrieb doch der englische Konsul Gingen seiner Spionageschrift über unsere Daressalamer Kaufleute."
      „Wird auch nicht alles stimmen, Dubian, was der Engländer sagt. Der lügt viel, wenn der tag lang ist“, antwortet Giese.
      „Zur Stelle!“ Meldet der Askari von vorhin, und nun wenden sich die Gesichter am Feuer neugierig dem jungen weißen Menschen zu, der von dem mann von der Wache hergeführt worden war. Überrascht und geblendet stand er neben dem Schwarzen und machte eine in dieser Wildnis überaus überflüssige Verbeugung. „Fritz Zopeter“, sagte er laut, aber seine Stimme war trocken und rauh und ersichtlich voll Angst.
      Der Junge trug zum Tropenhelm einen Leopardenanzug, etwas ganz ungewöhnliches in diesem heißen Klima. Sein Körper war groß und kräftig, aber mit einer kaum noch zu bezähmenden Unruhe erfüllt. Offenbar hatte der Nachtmarsch von Daressalam in die Puguberge den Jungen so angestrengt, daß er seine Nerven nicht länger beherrschen konnte. Keiner am Feuer hätte sich gewundert, wenn dieser Fritz Zopeter im nächsten Augenblick wie ein kleiner Junge losgeheult hätte.
      „Was wünschen Sie, junger Mann?“ fragte Giese auf deutsch, nachdem er den Askari mit einem Kisuaheliwort zur Wache zurückgeschickt hatte. Und als Fritz Zopeter nicht gleich antwortete, will er, wie es schien, noch zu erregt war, klopfte Giese seine Pfeife aus, dem Jungen Zeit zu lassen, sich zu sammeln, stopfte die Pfeife auf neue und fischte mit der bloßen Hand ein glimmendes Kohlenstück aus der Asche, das er auf den Tabak legte. Und Dubai schlug aus schlug aus ähnlichem Grund mit einem Stock auf eine behende, kaum zwei Fingerspannen lange blauschwarze Schlange ein, die vom Licht geblendet, zum Feuer wollte; aber Dubai schlug daneben. Indessenhatte sich der Junge sowie gefasst, das er antworten konnte. „Ich suche meinen Onkel!“ Sagte er.
      Alle waren überrascht und hatten den Eindruck: das mit dem Onkel ist nur ein Vorwand, der Junge will etwas ganz anderes.
      „Wie heißt Ihr Onkel?“ fragte Giese.
      „Richard Lechner.“
      „kenne ich nicht. Kennt ihn jemand von euch? Niemand! Darüber müssen sich sich nun nicht wundern, junger Mann. Es gibt fünftausend Deutsche in diesem Land, und das Land ist zweimal so groß wie Deutschland. Da kann man unmöglich jeden beim Namen oder gar persönlich kennen. Hier ist Ihr Onkel offenbar nicht. Wo ist er dann?
      „Ich dachte, in Maunzt!“ erwiederte Fritz kleinlaut.
      Ein schallendes Gelächter der Schutztruppler war die Antwort. Von dem ungewohnten Lärm aufgeschreckt, hetzte eine vom Lichtschein angelockte Affenherde durch das Geäst, die Flucht ergreifend, noch ehe sie das Feuer so recht gesichtet hatte. Scheu blickte der Junge in das raschelnde Laub. Durchdringende, kreischende Laute der fliehenden Affenherde erfüllten Minuten lang die Luft.
      „Menschenskind“ ,meinte der Feldwebel schmunzelnd, nachdem sich der Lärm gelegt hatte, „ der Witz ist nicht schlecht: Ihr Onkel in Maunzt, und Sie suchen ihn hier in den Pugubergen bei Daressalam. Maunze liegt am Viktoriasees. Das ist ungefähr das Ende der Welt. Jedenfalls einer der entferntesten Plätze in der Kolonie. Um dorthin zu kommen, hätten Sie nicht erst bei Nacht, was wegen der Löwen nicht gerade ungefährlich ist, hierher zu laufen brauchen. Setzten Sie sich in Daressalam in den nächsten Zug, reisen nach Tabora und von da weiter zu Fuß nach Maunzt. Wenn Sie Glück haben, sind Sie in drei Wochen dort. Aber die Schwierigkeiten unterwegs! Überlegen sie sich das mal, junger Mann!“
      „Hat gar kein Zweck, daß ich mir das überlege!“ antwortete Fritz Zopeter. Er hatte seine Haltung nun völlig zurückgewonnen.
      „Warum?“ erkundigte sich Giese verblüfft.
      „Weil mein Onkel nicht mehr in Maunzt ist. Das Telegramm, das ich ihm schickte, kam unzustellbar zurück.“
      „Ja, zum Donner, wo ist dann Ihr Onkel?“
      „Weiß ich nicht!“
      „Dann weiß ich es auch nicht!“ rief Giese entrüstet.
      „Warum erzählen Sie uns eigentlich diese Geschichte?“
      Fritz Zopeter schaute von einem zum anderen. Alles wohlwollende Männer: der kleine, fast schmächtige Feldwebel Giese, mit den großen, eisengrauen Augen, der lange hagere Dubian, Kerscher, der Bayer und der Holsteiner Röthemeier. Und er riß die müden Knochen zusammen und sagte, warum er nun wirklich von derv Küstenstadt während einer langen bangen Nacht durch wilden Busch getippelt war. „Ich melde mich als Freiwilliger zur Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika!“ rief er laut und stramm.
      Das hatte keiner erwartet. Also doch bloß ein Vorwand, das mit dem Onkel? „Setzen Sie sich“, sagte Giese sofort umgestimmt sehr freundlich. „Sie sind wohl verdammt müde von dem langen Weg hierher? Da auf dem Baumstamm neben Dubai ist noch Platz. Rücken Sie Dubai! Ist noch Tee da, Kerscher?“
      Unteroffizier Kerscher erhob sich und stakste vom Feuer weg in die Dunkelheit hinein und kam mit einem Wasserkessel zurück, der als Teekanne Dienste. „Schöner kalter Tee!“ Sagte Kerscher und goß eine Emailletasse voll. „Wurst und Brot ist auch noch da!“
      „Nein, bloß trinken möchte ich!“ stieß Fritz hervor und goß den kalten Tee gierig hinunter. Die Männer schauten wohlwollend zu, wie Fritz den Tee durch die Kehle rinnen ließ.
      „Paß mal auf, Röthemeier“, sagte Kerscher, als er seinen Sitz auf dem Stamm wieder eingenommen hatte, „ob du’s glaubst oder nicht, ich hab einmal einen Elefanten mit einem einzigen Schuß umgelegt. Und als der Elefant lag…“
      „Wenn du jetzt“, rief Dubai wütend und schlug nach einer dicken Kröte, die zum Feuer hüpfte, „wenn du jetzt auch noch den toten Elefanten über die Schulter nimmst, wie den Leoparden, und Röthemeier den Löwen, dann kriegt ihr beide es mit mir zu tun.“
      „Erlaube mal“, fuhr Kerscher hoch, „hältst du mich etwa für einen Aufschneider?“
      „Ruhe!“ Befahl Giese. Es herrschte eine ganze Weile Schweigen am Feuer. Nur die Flammen züngelten knisternd empor. Schwacher rauch stieg kerzengerade auf, und vom Himmel blinkten funkelnde Sterne herab. Vom Licht geblendete große schwarze Käfer schwirrten heran und plumpsten ins Feuer. Still in sich zusammengekauert saß Fritz auf dem Stamm und genoß die unsagbar schöne Stimmung am Lagerfeuer mit vollen Zügen. So hatte er es viel Male geträumt in seinen Kindheitsnächten, und nun war der Traum Wirklichkeit geworden. Ja, ja, dachte er, am Lagerfeuer muß Stille herrschen, damit man die Natur hört, dann ist es am schönsten.
      Die Natur sprach in vielhundertfältigen Lauten. Uralte Baumstämme knarrten, das Laub in den Kronen bewegte sich leise im Wind, der vom Meer her kam. Heiteres Hyänengelächter zerbrach für Augenblickslänge den Frieden, dann schwoll der klagende Ruf einer Nachttaube stärker und stärker an. Dazwischen ertönten unheimlich nahe ein Knarren, wie vom Räderwerk einer alten Wanduhr, deren Gewichte abwärts gleiten. Und in kurzen pausen antwortete der regelmäßige, scheinbar metallene Schlag der Uhr, von einem anderen gefiederten Sänger des Waldes hervorrufen: eins, zwei, drei… zwölf. In der Tat, es war Mitternacht!
      „Jetzt gehen wir schlafen!“ befahl Giese in das Schweigender Männer hinein und klopfte seine Pfeife aus. Augenblicklich erhoben sich die Kameraden, zogen die Baumstämme aus dem Feuerbereich, der Lichtschein ermattete, und Dubai ging hin und deckte mit seinem Stock Asche über die noch vorhandene Glut. Der rote Schein über dem Wald verschwand, rasch glommen die Brandstellen der Stämme ab, nun war es überall Nacht.
      „Sie schlafen bei Dubai im Zelt“, sagte Giese zu Fritz, als die Schutztruppler tiefer ins Lager stapften. „Morgen werde ich Sie dem Hauptmann vorstellen. Gute Nacht!“​
     
    Zuletzt bearbeitet: Jan. 6, 2020
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  3. Andreas G.

    Andreas G. Sehr aktives Mitglied AbzeichenUser



    Wie Fritz nach Afrika kam




    Der Weg an Dubais Seite führte Fritz durch das Lager der Askaris. Es war stockfinster zwischen den Stämmen, aber der Unteroffizier schritt durch das Dunkel, ohne einen Schläfer anzustoßen, obwohl genug herumlagen, denn es hatten nicht alle in den winzigen Hütten Platz gefunden.
    Vor einer grünen Zeltwand machten sie Halt, Dubian schob die Leinwand beiseite, entzündete im Inneren des Zeltes eine mit Petroleum gefüllte Sturmlaterne und hängte sie im Aluminiumgestänge auf, das dem Zelt seine Form gab. Nun sah Fritz, daß dieses Zelt groß und schön war, wie er es sich nimmer hätte träumen lassen. Es war wie ein hausfit schrägem Dach und geraden Wänden und überall hoch genug, um bequem. Stehen zu können. Es enthielt Fensteröffnungen mit Stofflappen dahinter und richtige Taschen an den Seiten zum Aufnehmen von Gegenständen. Über das Zelt war ein großes Sonnensegel gespannt und ein zweites Segel diente vor dem Eingang als Vordach. Darunter standen Tisch und Stuhl, und unter dem großen Sonnensegel waren Kisten mit Lasten aufgestapelt. Zwei mit Moskitonetzen bespannte Feldbetten füllten das Zelt.
    Im Nu hatte der Unteroffizier sein Khakizeug abgestreift, war in einen Schlafanzug geschlüpft und unter dem Moskitonetz gekrochen, dessen untere Ränder er sorgfältig unter die Decke stopfte. Ehe er die letzte Lücke schloß, streckte er Fritz die Hand hinüber. Es war eine große, harte Hand. Fritz drückte sie kräftig. „Einen guten Anfang hier bei der Kompanie, mein Junge“, sagte Dubian herzlich und löschte das Licht.
    Fritz empfand die Nacht, die ihn umgab, wie ein Schleier, der sich ihm wohltätig auf die Augen legte. Augenblicklich schlief er vor Müdigkeit ein, erwachte aber nach kurzer Ruhe ohne ersichtlichen Grund und konnte nun lange kein Schlummer mehr finden. Um so stärker begann sein Gehirn zu arbeite. Von all den Vorgängen der letzten Wochen gaukelte es ihm Bild um Bild ins Gedächtnis zurück.
    Vor drei Wochen — waren es wirklich erst drei Wochen? — saß Fritz in der Stube seines Vormundes Groll in Betzendorf, im Fränkischen, gut fünftausend Kilometer von hier entfernt. Besuch war gekommen, und es wurde die frage besprochen: was soll aus Fritz werden, dessen Eltern plötzlich gestorben waren? Da sie kein vermögen hinterlassen hatten, war er auf die Verwandtschaft angewiesen.
    Tante Amalie Lohmich, deren spitze Zunge jedermann fürchtete, saß neben Vormund Groll auf dem Sofa. Die Tante sagte: „Lohmich“, sagte sie zu ihrem Mann, dem Bürovorsteher Emil Lohmich, der auch zugezogen worden war zu der Beratung, „können wir etwas tun für den Fritz oder können wir es nicht? Bedenke, ehe du antwortest, daß wir schon unseren Hubert auf der Mittelschule haben, was uns viel Geld kostet.
    das mit der teuren Mittelschule war nur halb so schlimm.
    „Liebe Amalie…“ hüstelte Bürovorsteher Lohmich mit sanftem Wiederspruch.
    „Nun, ich sage es ja“, ereiferte sich die Tante, „wir können’s nicht.
    „Wenn ihr nichts tun könnt für den Burschen“, sagte darauf der Vormund grob, „dann kommt er in mein Geschäft und wird Fleischer.
    Krach! Die Tür knallt ins Schloß, daß es staubte, und draußen tobte Fritzens Schritt.
    „So ein Lausejunge!“ entrüstet sich die Tante. „Da will man diesem schlingel helfen, und er stößt hochmütig die gebotene Hand zurück.“
    „Nun, ich muß sagen“, wagte der schüchterne Lohmich dazwischen zu werfen, „Fleischer würde ich auch nicht. Zu dem Beruf, den man erwählt, muß man berufen sein. Und wenn ein Mensch zarte Nerven hat, taugt er zum Fleischer nicht.“
    „Lohmich“, zischte Tante Amalie, „solltest du Fleischer werden oder der Junge?“
    „Schluß jetzt!“ dröhnte Meister Groll. „Die zarten Nerven werde ich dem Bengel schon austreiben. Morgen früh tritt er mit dem Gehilfen Max im Schlachthaus zur Arbeit an. Das ist mein letztes Wort.“
    Das war es, als ob sich der gutmütige Lohmich noch einmal zu einem Einspruch aufraffen würde. Seine Stimme — was war das für eine dünne Stimme? — wirkte aber nicht überzeugend. Aber es war ja nicht Lohmichs Stimme. Verrückt! Das waren die Moskitos, die mit hohem dünnenSummen das Netz umschwärmten. Fritz rieb sich die Augen. Er erinnerte sich deutlich, wie er damals, als er aus dem Zimmer stürmte, die Treppe emporlief und in der Dachstube auf dem schmalen Rand seines Bettes die Gedanken sammelte. Zwei Schritte von ihm entfernt war ein andres schmales Bett, das dem Gehilfen Max gehörte. Und an dem Nagel an der Tür hing die weiße Metzgerschürze. Ein langer Wetzstahl baumelte daneben, das Zunftzeichen der Metzger. Den Wetzstahl gürtete sich Max bei der Arbeit wie ein Schwert zur Seite. Sobald Fritz drei Jahre richtig gelernt hatte, bekam auch er einen solchen Wetzstahl. Die Schürze aber, in die das Blut der geschlachteten Tiere rinnt, trug er schon morgen.
    „Nie!“ schrie Fritz auf. „Lieber gehe ich heute noch nach Afrika!“
    Hatte er dieses verzweifelte „Nie“ laut gerufen? Er war doch schon in Afrika! War er in dem Feldbett in Dubaians Zelt wieder eingeschlafen? Angestrengt lauschte er zu Dubian hinüber. Tiefe, regelmäßige Atemzüge drangen aus dem Moskitonetz. Damals hatte er dieses „Nie!“ hineingeschrieen in alle Winkel der Dachstube. Und der Gedanke an Onkel Richard war in ihm lebendig geworden. Der Gedanke an jenes Erlebnis vor zehn Jahren, als der Bruder der Mutter aus Afrika zu Besuch in Deutschland weilte und den und den siebenjährigen Fritz aufs Knie nahm und lachend sagte: „Fritz“ wenn du groß bist, kommst du mir auf die Pflanzung. Vergiß es nicht!“
    Er hatte es nicht vergessen. Und nun ist seiner Not, da der Vormund so hart und rücksichtslos über sein Schicksal entschied, war es ihm, als riefe ihn der Onkel mit lauter Stimme. Freilich, einmal nur war war von diesem Kommen die Rede, aber sollte dieses Wort darum keine Geltung mehr haben nach zehn Jahren? Ehe die Mutter starb, hatte sie ihm als letztes Vermächtnis ein Sparkassenbuch in die Hand gedrückt. 380 Mark waren in diesem Buch eingetragen. Mit diesem Geld hätte er das Gymnasium noch eine Weile besuchen können. Viel sicherer aber war, daß der Vormund Groll, wenn er von diesem Geld erfuhr, es als Lehrgeld für Fritzens Metzgerlaufbahn beschlagnahmte. „Alles für dich gespart“, hatte die Mutter gesagt. „verwahre es für die Not.“ Weder der Vormund noch sonst jemand erfuhr von dem Schatz. Und war das jetzt nicht Not, wenn am Scheideweg der Berufswahl einbrutaler Vormund einem den Weg verbaute?
    und plötzlich war sich Fritz klar über sein Handeln. Er wollte zu Onkel Richard nach Afrika. Nichts sollte ihn von der Ausführung dieses Entschlusses abhalten. Heimlich wollte er gehen, wenn es auch nicht schön war. Vielleicht reiste er als Schiffsjunge oder als blinder Passagier, oder als zahlender wenn das Geld von dem Sparkassenbuch reichte; er wußte es noch nicht genau. Fort mußte er! Und auf einmal war er grenzenlos glücklich. Die Welt schien ihm nicht mehr so eng, wie die Stube im Haus des Schlächters.
    Es kam alles, wie es kommen mußte. Fritz erhielt von der Sparkasse anstaltslos das Geld ausgezahlt, da das Buch auf seinen Namen lautete. Aber auf dem Reisebüro in München, wohin er zunächst fuhr, wurde ihm der Passagierschein für die Ausreise vorenthalten. Nicht etwa, weil er keinen Paß hatte, so märchenhaft es klingt, aber man konnte vor dem großen Krieg anstandslos Grenzen überschreiten, ohne daß nach einem Paß gefragt wurde, die Schwierigkeit lag im Geld. Es reichte zwar für die Hinreise, aber das Reich forderte, daß der Paß für die Rückfahrt sichergestellt wurde, wenn der Reisende nicht eine feste Anstellung in der deutschen Kolonie Nachweisen konnte. Und das konnte er nicht.
    Aber Fritz wollte und mußte nach Afrika. Der nächstfällige Dampfer lag übermorgen am Pier von Neapel. Vielleicht gab ihm die Agentur von Neapel, was die ihn München ihm verweigerte?
    Unterwegs, auf der Reise nach Neapel, litt Franz Höllenqualen. Immerzu sah er in seiner angst den Steckbrief vor sich, den die Polizei auf Veranlassung des Vormundes gegen ihn erlassen hatte. An jeder Station fürchtete er, von einem Polizisten verhaftet zu werden. Es war ein eingebildeter Steckbrief. In Wahrheit dachte niemand daran, nach dem ehemaligen Gymnasiasten Fritz Zopeter zu fahnden, der am 9. Juli 1914 unter Mitnahme eines braunen Lederkoffers aus dem Haus des Vormundes, Nathanael Groll in Beßendorf, Post Heilsbronn, Mittelfranken, entwichen war.
    In Neapel ging Fritz zur Agentur.
    „Sie wünschen, mein Härr?“ fragte ein schwarzgelockter Jüngling, der in Fritz sofort den Deutschen erkannte. Fritz sah furchtbar übernächtigt und ungewaschen aus. Nun riß er sich zusammen und leierte sein Sprüchen herunter. „Ich wünsche einen Platz 3. Klasse auf dem Dampfer ,Feldmarschall´, der hier im Hafen liegt.“
    „Sähr wohl! Wohin mein Härr?“
    „Nach Deutsch Afrika!“ Fritzens Herz schwoll vor Stolz beim Klang dieses Wortes. Ja, es gab weit über dem Meer ein Stück deutsches Vaterland, und das machte ihn glücklich.
    Der Schwarzgelockte nahm ein großes Formular, legte Kohlepapier unter, damit es eine Durchschrift gab, und schrieb Fritzens Name und Reiseziel in die vorgedrucktenSpalten. Der kleine Fingernagel an der rechten Hand des Neapolitaners war mindestens einen Zentimeter lang und wunderbar poliert. Und der junge Mann hinter dem Schalter legte offenbar Wert darauf, daß dieses Prachtstück von einem Fingernagel recht augenfällig über das Papier glitt. Von einer zu hinterlegenden Sicherheitssumme war jedoch mit keinem Wort die rede. Fritz zahlte 330 Mark, bekam das Original des großen Bogens ausgehändigt, stürzte auf die Straße hinaus und kam auch glücklich auf das Schiff, zu dem vom Pier aus Laufplanken führten. Reisende und Lastenträger hasteten über diese Planken, und an Deck war ein richtiges Ameisengewimmel.
    Langsam löste sich das Schiff vom Kai. Bis zu diesem Augenblick sah Fritz in jede, Menschen an Bord einen Detektiv, der nach ihm fahndete. Jetzt aber, als das Schiff sich vom Land löste, wich auch der Druck von seiner Seele. Erleichtert atmete er auf. Ein unendlich glückliches Gefühl wischte für den Augenblick alle Zukunftssorgen hinweg, und er genoß die Schönheit der entschwindenden Lichterstadt, die terrassenförmig das weite Hafenbecken umgibt. Genoß die Schönheit der dreiwöchigen Seereise mit immer neuen, durstenden Zügen.
    Noch in der selben Nacht glitt das Schiff an Stromboli vorbei und lief durch die Meerenge von Messina. Sizilien mit dem rauchenden Anna auf der Steuerbord= und die Kalabrische Küste auf der Backbordseite geistern wie ein Filmband vorüber. Und hinter der Insel Kreta blieb nur noch das weite Meer und uferloser Horizont und gleichmäßig lichtblauer Himmel bis Port Said, das schon zum Orient gehörte.
    Der Suezkanal nahm das Schiff auf. In langsamer Fahrt ging es zwischen der Arabischen und der Lyrischen Küste ins Rote Meer mit seinem wundervollen Blauwasser und dem glutroten Wiederschein von glutroten kahlen Gebirgshängen. In strahlender Helle stand nachts das Südliche Kreuz am Himmel.
    Und eines Tages begann das große Schiff im gleichmäßigen Hin und Her auf aufkommendem Wellengang zu reiten: „Feldmarschall“ war um Somalia herum in den Indischen Ozean hineingeglitten. Köstlich erfrischende Seebrise löst die Backofenglut des Roten Meeres ab, umflatterte Fritzens blondes Haar und legte deutlichen Salzgeschmack auf seine Lippen. Vorbei die Qual der Hitze des Binnenmeeres, die ihn in seinem dicken grauen Lodenanzug zu ersticken drohte. Wie ein Feldherr lehnte sich Fritz über die Reling und schaute nach der deutsch-ostafrikanischen Küste aus. — In derselben Zeit braute sich jenes gewaltige Ungewitter über den Häuptern der gesamten Menschheit zusammen, das in der ersten Augusttagen des Jahres 1914 seinen Anfang nahm.
     
  4. Andreas G.

    Andreas G. Sehr aktives Mitglied AbzeichenUser

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